Unter dem Titel QUARREE100 arbeiten in Heide Wissenschaftler, Ingenieure, Planer und Projektentwickler an neuen Impulsen für die Energiewende. Ziel des Projektes, das vom Bund mit rund 24 Mio. Euro gefördert wird, ist die Umwandlung und Speicherung regional erzeugter Windenergie und deren Nutzung in einem bestehenden Stadtquartier im schleswig-holsteinischen Heide.

Der „Rüsdorfer Kamp“, rechts der Bahngleise. Foto: Jacobs / Stadt Heide
Der „Rüsdorfer Kamp“, rechts der Bahngleise. Foto: Jacobs / Stadt Heide

QUARREE100 – das steht für „Quartiersentwicklung mit 100%iger Regenerativer Energie“ – und wird, wie das „Schwester-Projekt“ ENaQ in Oldenburg (Oldb), im Rahmen der Förderinitiative „Energieeffiziente Stadt/ Solares Bauen“ von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert.

Gegenstand der Arbeit ist der „Rüsdorfer Kamp“, ein Stadtquartier mit ca. 600 Einwohnerinnen und Einwohnern. Es umfasst rund 20 ha und befindet sich in der Dithmarscher Kreisstadt Heide (22.000 Einwohner). Diese bildet mit ihren Umlandgemeinden die Region Heide (37.000 Einwohner). Auf halbem Wege zwischen Hamburg und Dänemark gelegen, bildet sie einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt und Wirtschaftsstandort an der schleswig-holsteinischen Westküste. Der „Rüsdorfer Kamp“ befindet sich gewissermaßen im Zentrum dieser Region, ganz in der Nähe der Heider Innenstadt und wenige Minuten entfernt vom Campus der Fachhochschule Westküste.
QUARREE100 verfügt über zwei Besonderheiten: Zum einen befindet sich das Projektgebiet in einer der führenden Windenergie-Regionen Europas. Die Region Heide weist Deutschlands engste Bebauung mit Windkraft auf, was aufgrund fehlender Speicher- und Netzkapazitäten regelmäßig dazu führt, dass Anlagen abgeschaltet werden müssen. Die zweite Besonderheit: QUARREE100 befasst sich mit einem historisch gewachsenen, äußert heterogenen Quartier.

Der „Rüsdorfer Kamp“, für den im Zuge des Forschungsprojektes ein neues Energieversorgungssystem entwickelt wird, hat eine lange Geschichte. Sie reicht zurück bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Bau der Eisenbahnlinie brachte Ende des 19. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das ehemals landwirtschaftlich geprägte Gebiet lag nun direkt am Bahnhof, es entstanden Gewerbebetriebe und zum Teil repräsentative Stadthäuser – einige sind bis heute erhalten. 1924 wurde das Gebiet in die Stadt Heide eingemeindet. Der weiterhin überwiegend dörfliche Charakter wandelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als zunehmend Geschosswohnungsbau realisiert wurde. Mit dem auf fünf Jahre angelegten Projekt steht nun eine weitere Phase von Veränderungen bevor. Das Ziel: Die 180 Bestandsgebäude sowie rund 300 für das Gebiet vorgesehene neue Wohneinheiten sollen zukünftig systemdienlich und CO2-frei mit Energie versorgt werden.

Wie ein solches Versorgungssystem aussehen könnte, damit befasst sich QUARREE100 seit Kick-Off des Projektes im Februar 2018. Unter Gesamtleitung des Advanced Energy Systems Institute der Universität Bremen (AES) und der Entwicklungsagentur Region Heide (EARH) betrieben die 20 Projekt-Partner*innen zunächst eine umfassende Erhebung und Analyse von Daten. Dabei standen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt: In welcher Form und Menge wird an welcher Stelle Energie verbraucht, wie viel CO2 entsteht dabei und welche Rolle spielt das Quartier innerhalb des umgebenden Energienetzes?

Darauf aufbauend entwickelten die Partner*innen unter Federführung des Steinbeis-Innovationszentrums Energie+ der TU Braunschweig ein Energiekonzept. Dieses wurde im September 2019 durch alle Partner*innen beschlossen und bildet die Grundlage für die zweite Projektphase, in der die bauliche Realisierung angegangen wird. Der ermittelte CO2-Ausstoß von ca. 6 Tonnen pro Einwohner im Jahr, die gemischte bauliche Struktur sowie die Berücksichtigung zukünftiger Neubauprojekte, stellen hierbei wesentliche Herausforderungen dar.
Hinzu kommt der für das Projekt maßgebliche Resilienz-Ansatz: Dieser sieht vor, dass die Energieversorgung im Gebiet sowohl an aktuelle, aber auch zukünftige, heute nicht abschließend zu bewertende technisch-regulatorische oder (städte-) bauliche Rahmenbedingungen angepasst werden kann. Das Ergebnis ist ein modular aufgebautes System, das sich flexibel auf technische oder wirtschaftliche Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden, Betreibenden oder des Energiesystems insgesamt ausrichten lässt.
Dies wird bei Betrachtung der vorgesehenen technischen Hardware deutlich: Das Wärmenetz samt Speicher ist so ausgelegt, dass nicht nur die rund 180 Bestandsgebäude im Quartier, sondern auch zukünftig zu errichtende Neubauten versorgt werden können. Je nach Betriebsweise sollen unter anderem eine Elektrolyse, Wärmepumpenanlagen oder ein bivalent befeuertes Blockheizkraftwerk (BHKW) einen Großteil der benötigten Wärme generieren. Die Wärmeerzeugung ist so konzipiert, dass Redundanzen eine hohe Versorgungssicherheit garantieren. Gleichzeitig werden Schnittstellen zu den Sektoren Elektrizität und Mobilität bereitgestellt.
Die Entwickler*innen sprachen sich zudem für die Planung eines elektrischen Betriebsnetzes aus. Auf diese Weise soll es dem Betreibenden ermöglicht werden, lokalen PV-Strom optimal in der zentralen Wärmeerzeugung nutzen zu können. Ergänzt wird das Konzept von einer Steuer- und Regelungstechnik, die einen optimierten Betrieb unter unterschiedlichen Szenarien und mit hoher Flexibilität für den Energiemarkt ermöglicht.

Um mehr Zeit für die bauliche Umsetzung im Quartier zu erhalten, wurde das Energiekonzept rund ein Jahr früher fertiggestellt, als ursprünglich vorgesehen. Hierbei spielte die Zusammenarbeit der sieben Arbeitsbereiche eine wichtige Rolle: Verschiedene Varianten wurden entwickelt, getestet, optimiert und fortgeschrieben, verglichen oder auch verworfen – immer unter kritischer Bewertung der jeweiligen fachlichen Perspektive. Von der Datenerhebung über die Modellierung des Energiesystems sowie die Entwicklung von Technologien und Umsetzungsszenarien bis hin zur Bürgerbeteiligung wurden alle Fachleute eingebunden.
Zusammen mit einem noch nicht feststehenden Betreibenden muss das beschlossene Konzept nun in eine konkrete Betriebs- und Umsetzungsplanung überführt werden. Parallel dazu werden die Akquise zukünftiger Energieabnehmer*innen sowie die Integration in die städtebaulichen Planungs- sowie weitere behördliche Genehmigungsprozesse anlaufen. Das Ziel: Im „Rüsdorfer Kamp“ in Heide soll bis Ende 2022 eine neue Phase der Energiewende in Deutschland eingeleitet werden, die sowohl durch die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger als durch ihre wirtschaftlichen Anschlussfähigkeit neue Impulse setzt.

Weitere Informationen zum Projekt unter www.quarree100.de.

Text: Jannick Schwender, QUARREE100-Projektleiter bei der Stadt Heide

Unter dem Titel QUARREE100 arbeiten in Heide Wissenschaftler, Ingenieure, Planer und Projektentwickler an neuen Impulsen für die Energiewende. Ziel des Projektes, das vom Bund mit rund 24 Mio. Euro gefördert wird, ist die Umwandlung und Speicherung regional erzeugter Windenergie und deren Nutzung in einem bestehenden Stadtquartier im schleswig-holsteinischen Heide.

Der „Rüsdorfer Kamp“, rechts der Bahngleise. Foto: Jacobs / Stadt Heide
Der „Rüsdorfer Kamp“, rechts der Bahngleise. Foto: Jacobs / Stadt Heide

QUARREE100 – das steht für „Quartiersentwicklung mit 100%iger Regenerativer Energie“ – und wird, wie das „Schwester-Projekt“ ENaQ in Oldenburg (Oldb), im Rahmen der Förderinitiative „Energieeffiziente Stadt/ Solares Bauen“ von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert.

Gegenstand der Arbeit ist der „Rüsdorfer Kamp“, ein Stadtquartier mit ca. 600 Einwohnerinnen und Einwohnern. Es umfasst rund 20 ha und befindet sich in der Dithmarscher Kreisstadt Heide (22.000 Einwohner). Diese bildet mit ihren Umlandgemeinden die Region Heide (37.000 Einwohner). Auf halbem Wege zwischen Hamburg und Dänemark gelegen, bildet sie einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt und Wirtschaftsstandort an der schleswig-holsteinischen Westküste. Der „Rüsdorfer Kamp“ befindet sich gewissermaßen im Zentrum dieser Region, ganz in der Nähe der Heider Innenstadt und wenige Minuten entfernt vom Campus der Fachhochschule Westküste.
QUARREE100 verfügt über zwei Besonderheiten: Zum einen befindet sich das Projektgebiet in einer der führenden Windenergie-Regionen Europas. Die Region Heide weist Deutschlands engste Bebauung mit Windkraft auf, was aufgrund fehlender Speicher- und Netzkapazitäten regelmäßig dazu führt, dass Anlagen abgeschaltet werden müssen. Die zweite Besonderheit: QUARREE100 befasst sich mit einem historisch gewachsenen, äußert heterogenen Quartier.

Der „Rüsdorfer Kamp“, für den im Zuge des Forschungsprojektes ein neues Energieversorgungssystem entwickelt wird, hat eine lange Geschichte. Sie reicht zurück bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Bau der Eisenbahnlinie brachte Ende des 19. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das ehemals landwirtschaftlich geprägte Gebiet lag nun direkt am Bahnhof, es entstanden Gewerbebetriebe und zum Teil repräsentative Stadthäuser – einige sind bis heute erhalten. 1924 wurde das Gebiet in die Stadt Heide eingemeindet. Der weiterhin überwiegend dörfliche Charakter wandelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als zunehmend Geschosswohnungsbau realisiert wurde. Mit dem auf fünf Jahre angelegten Projekt steht nun eine weitere Phase von Veränderungen bevor. Das Ziel: Die 180 Bestandsgebäude sowie rund 300 für das Gebiet vorgesehene neue Wohneinheiten sollen zukünftig systemdienlich und CO2-frei mit Energie versorgt werden.

Wie ein solches Versorgungssystem aussehen könnte, damit befasst sich QUARREE100 seit Kick-Off des Projektes im Februar 2018. Unter Gesamtleitung des Advanced Energy Systems Institute der Universität Bremen (AES) und der Entwicklungsagentur Region Heide (EARH) betrieben die 20 Projekt-Partner*innen zunächst eine umfassende Erhebung und Analyse von Daten. Dabei standen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt: In welcher Form und Menge wird an welcher Stelle Energie verbraucht, wie viel CO2 entsteht dabei und welche Rolle spielt das Quartier innerhalb des umgebenden Energienetzes?

Darauf aufbauend entwickelten die Partner*innen unter Federführung des Steinbeis-Innovationszentrums Energie+ der TU Braunschweig ein Energiekonzept. Dieses wurde im September 2019 durch alle Partner*innen beschlossen und bildet die Grundlage für die zweite Projektphase, in der die bauliche Realisierung angegangen wird. Der ermittelte CO2-Ausstoß von ca. 6 Tonnen pro Einwohner im Jahr, die gemischte bauliche Struktur sowie die Berücksichtigung zukünftiger Neubauprojekte, stellen hierbei wesentliche Herausforderungen dar.
Hinzu kommt der für das Projekt maßgebliche Resilienz-Ansatz: Dieser sieht vor, dass die Energieversorgung im Gebiet sowohl an aktuelle, aber auch zukünftige, heute nicht abschließend zu bewertende technisch-regulatorische oder (städte-) bauliche Rahmenbedingungen angepasst werden kann. Das Ergebnis ist ein modular aufgebautes System, das sich flexibel auf technische oder wirtschaftliche Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden, Betreibenden oder des Energiesystems insgesamt ausrichten lässt.
Dies wird bei Betrachtung der vorgesehenen technischen Hardware deutlich: Das Wärmenetz samt Speicher ist so ausgelegt, dass nicht nur die rund 180 Bestandsgebäude im Quartier, sondern auch zukünftig zu errichtende Neubauten versorgt werden können. Je nach Betriebsweise sollen unter anderem eine Elektrolyse, Wärmepumpenanlagen oder ein bivalent befeuertes Blockheizkraftwerk (BHKW) einen Großteil der benötigten Wärme generieren. Die Wärmeerzeugung ist so konzipiert, dass Redundanzen eine hohe Versorgungssicherheit garantieren. Gleichzeitig werden Schnittstellen zu den Sektoren Elektrizität und Mobilität bereitgestellt.
Die Entwickler*innen sprachen sich zudem für die Planung eines elektrischen Betriebsnetzes aus. Auf diese Weise soll es dem Betreibenden ermöglicht werden, lokalen PV-Strom optimal in der zentralen Wärmeerzeugung nutzen zu können. Ergänzt wird das Konzept von einer Steuer- und Regelungstechnik, die einen optimierten Betrieb unter unterschiedlichen Szenarien und mit hoher Flexibilität für den Energiemarkt ermöglicht.

Um mehr Zeit für die bauliche Umsetzung im Quartier zu erhalten, wurde das Energiekonzept rund ein Jahr früher fertiggestellt, als ursprünglich vorgesehen. Hierbei spielte die Zusammenarbeit der sieben Arbeitsbereiche eine wichtige Rolle: Verschiedene Varianten wurden entwickelt, getestet, optimiert und fortgeschrieben, verglichen oder auch verworfen – immer unter kritischer Bewertung der jeweiligen fachlichen Perspektive. Von der Datenerhebung über die Modellierung des Energiesystems sowie die Entwicklung von Technologien und Umsetzungsszenarien bis hin zur Bürgerbeteiligung wurden alle Fachleute eingebunden.
Zusammen mit einem noch nicht feststehenden Betreibenden muss das beschlossene Konzept nun in eine konkrete Betriebs- und Umsetzungsplanung überführt werden. Parallel dazu werden die Akquise zukünftiger Energieabnehmer*innen sowie die Integration in die städtebaulichen Planungs- sowie weitere behördliche Genehmigungsprozesse anlaufen. Das Ziel: Im „Rüsdorfer Kamp“ in Heide soll bis Ende 2022 eine neue Phase der Energiewende in Deutschland eingeleitet werden, die sowohl durch die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger als durch ihre wirtschaftlichen Anschlussfähigkeit neue Impulse setzt.

Weitere Informationen zum Projekt unter www.quarree100.de.

Text: Jannick Schwender, QUARREE100-Projektleiter bei der Stadt Heide